Fortuna hört zu!

Ein Epos für Vater und Sohn

Elisabeth Klecker

Das erste Großepos für Maximilian ist nicht etwa seinen Kämpfen zur Verteidigung der burgundischen Besitzungen gewidmet, sondern vereint zwei einander diametral entgegengesetzte und über ein Jahr auseinander liegende Ereignisse, seine Wahl und Krönung zum römischen König (1486) und die Gefangenschaft in Brügge, wo er vom 15. Februar bis zum 16. Mai 1488 in der Cranenburgh inhaftiert war. Mit dieser Zusammenstellung hat der Verfasser Helius Quinctius Aemilianus Cimbriacus (Giovanni Stefano Emiliano, 1449–1499) aus Vicenza (Cimbriacus, da man Vicenza als Gründung der Kimbern ansah) ganz offenkundig versucht, der speziellen Situation, der Doppelregierung von Vater und Sohn, gerecht zu werden: Kaiser Friedrich III. kann sowohl bei der Wahl als auch bei der Befreiung Maximilians eine aktive Rolle erhalten. Die Verbindung ist dadurch hergestellt, dass genau in der Mitte der fünf Encomiastica Fortuna eingreift: Könige zu stürzen ist das klassische Beispiel für ihre Macht, und so bildet ihr Neid das Scharnier. Dieser Neid entzündet sich freilich nicht nur am Faktum von Wahl und Krönung, sondern an den Glückwünschen der Gratulationsgesandtschaften, wie schon am Anfang des dritten Buchs angekündigt wird:

Encomiastica, Buch 3, b7r
Et iam fama volans totum compleverat orbem
Illum divino praesignem Caesare natum
Ausoniae regem sceptrum subiisse Quirini.
Ergo oratores diverso ex orbe profecti
Laudatum veniunt pariter natumque patremque
In primis veneti, quorum facundia laudes
Et regis bello mavortia facta secuta
Movit fortunae invidiam.

Schon hatte die Kunde im Flug den ganzen Erdkreis erfüllt, der vortreffliche Sohn des göttlichen Kaisers habe als König Ausoniens das Szepter des Quirinus übernommen. Also kommen Gesandte aus weiter Ferne, um Vater und Sohn in gleicher Weise zu loben, allen voran die Venezianer. Ihre Beredsamkeit, mit der sie Ruhm und Waffentaten des Königs im Krieg verfolgten, erregte den Neid Fortunas.

In der folgenden epischen Handlung ist dies durch einen Auftritt und eine Rede Fortunas ausgestaltet: Das zunächst allgemein gehaltene Lob für die Redekunst der Gesandten Venedigs wird nun auf einen namentlich genannten Redner bezogen: Ermolao Barbaro (1454–1493):

Encomiastica, Buch 3, b7v–b8r
nec tu per numina nostra
Rex, ait, Ausoniae mihi non exercitus ibis,
Quamvis promittat sacram tibi Iuppiter aulam |
Nec minor Alcide venias ad regna Quiritum
Ac tibi certatim gratentur et orbis
Laetitia incedat, magnosque exsolvat honores,
Te ferat in coelum Veneta legatus ab urbe
Laudibus Hermoleos, quo non iam plenius alter
Scrutatus causas et lati semina mundi
Haurit Dircaeo vates ex fonte liquores.

Nicht wirst du, König Ausoniens, ohne Prüfung durch meine Macht bleiben – mag dir auch Jupiter seinen heiligen Hof verheißen, magst du auch nicht geringer als der Alkide an die Königsherrschaft über die Römer kommen, mag man dich um die Wette beglückwünschen, der Erdkreis freudig herbeieilen und große Ehren erweisen, mag dich der Gesandte der Stadt Venedig auch in den Himmel heben, Ermolao, der die Ursachen und Elemente des weiten Kosmos vollständig erforscht und als Seher in vollen Zügen aus der dirkäischen Quelle trinkt.

Die Rede des Ermolao Barbaro

In der Tat war es Ermolao Barbaro – als Humanist bekannt für seine kritische Arbeit am Text der Naturalis historia des Älteren Plinius – der am 3. August 1486 die Gratulationsrede der venezianischen Gesandtschaft hielt. Begleitet von einem Widmungsbrief Barbaros an den burgundischen Kanzler Jean Carondelet (1428–1502) erschien die Rede im Druck – zweifellos zeitnah, auch wenn die Inkunabeln nicht datiert sind. Die Rede konnte nicht allein als Würdigung der Habsburgerherrscher gelesen werden, sondern wie der diplomatische Auftritt selbst war das von Barbaro zur Schau gestellte stilistische Können auch dem Prestige der entsendenden Stadt Venedig dienlich – sie wurde nicht nur in den Niederlanden (Alost: Thierry Martens 1487 (?); GW 3343; Bonn, ULB ) mit einem zusätzlichen Antwortbrief des Kanzlers und der Antwort des Abtes von Admont im Namen Kaisers, sondern auch in Venedig (GW 3344 München, BSB, 4 Inc.s.a. 289 ) und Rom (GW 3345; München, BSB, 4 Inc.s.a. 288 ) gedruckt.

https://digitale-sammlungen.ulb.uni-bonn.de/content/pageview/1564116

Die herausgehobene Nennung Barbaros schon in der ersten, nur handschriftlichen Version von Cimbriacus’ Epos in einem Buch (ÖNB, cod. 2470; UBI, cod. 664 = „Codex Fuchsmagen“, fol. 28r–40v) ist also wohl dadurch bedingt, dass der Verfasser sein Zielpublikum nicht nur bei den Habsburgern, sondern auch in Venedig und dessen Bildungselite sah: Am Ende des Epos spricht er Antonio Boldù (1450–1497), den venezianischen Legaten am Kaiserhof (und Vermittler eines Friedens mit Matthias Corvinus), direkt an, in beiden Handschriften folgt ein ihm gewidmetes Gedicht in Elfsilblern (ÖNB, cod. 2470, fol. 20v–21r; UBI, cod. 664, fol. 41r), das in der Druckfassung fehlt; beibehalten ist (leicht modifiziert) das Protrepticon, in dem das Werk nach dem Vorbild von Buchanreden wie Horaz, epist. 1,20 und Martial 1,3 zu Barbaro selbst als Patron gesandt wird.

Der Panegyricus des Jüngeren Plinius als Modell der Lobrede

Ist die namentliche Nennung Barbaros, die Rolle seiner Rede als Movens der epischen Handlung nur ein leeres Kompliment oder hat Cimbriacus Barbaros Rede inhaltlich für sein eigenes Lob berücksichtigt?

Barbaro hatte an Maximilian schon 1486 die Bewährung in utraque fortuna hervorgehoben:

quem res adversae magis exercuere? Quis prosperis et secundis minus intumuit? Quis in utraque fortuna constantior?

Wen prüfte Unglück härter? Wer blies sich im Glück weniger auf? Wer war beständiger im Glück und Unglück?

Er bezog sich dabei wohl auf den frühen Tod von Maximilians Gattin Maria von Burgund († 27. 3. 1482) und die Auseinandersetzungen um die Herrschaft in ihren Ländern – die Inhaftierung stand ja noch bevor. Die Anregung, diesen Punkt überhaupt zur Sprache zu bringen, dürfte von Plinius’ Panegyricus ausgegangen sein, den Barbaro nicht nur allgemein als klassisches Muster einer Lobrede, sondern vor allem als antike Situationsparallele rezipiert, indem er Maximilians Königswahl noch zu Lebzeiten des kaiserlichen Vaters als Entsprechung zur Adoption Trajans durch Nerva versteht. Schon Plinius lobt Trajan für die Bewältigung von Widrigkeiten:

nam, cum omnia ubique secunda merearis, nonne manifestum est, si quid adversi cadat, tuis laudibus tuisque virtutibus materiam campumque praesterni, cum secunda felices, adversa magnos probent?

Denn da du überall nur Glück verdienst, ist es nicht offenkundig, dass im Falle eines Unglücks für deinen Ruhm und deine Tatkraft ein Betätigungsfeld bereitet wird, da ja Erfolg die Glücklichen, Widrigkeiten aber Große prüfen?

Nach dem Jahr 1488 konnte man dieses Lob bestätigt sehen und die Kombination von Glück und (bald glorreich überwundenem) Unglück in den Encomiastica kann als aktualisierende Ausgestaltung von Barbaros Lob verstanden werden. Beweisen lässt sich dies freilich nicht – auch ohne Barbaros Vorbild bot sich in Hinblick auf die genannte Zielsetzung des gemeinsamen Lobes von Vater und Sohn die Kombination von Krönung, Haft und Befreiung ganz natürlich an.

Ein Wiener Leser

Mit weit größerer Wahrscheinlichkeit ist die genaue Lektüre von Barbaros Rede für ein in Wien entstandenes hexametrisches Lobgedicht auf Maximilian anzunehmen: die im Jahr 1512 in Wien gedruckte Panegyris des Adrian Wolfhard (1491–1545). Wie sich zeigen lässt, orientiert sich Wolfhard an den Encomiastica, ja man möchte fast von Plagiat sprechen, doch handelt es sich wohl um eine von Ungeschicklichkeiten nicht freie Demonstration seiner Kenntnis humanistischer Panegyrik sowie um eine Hommage an den Editor.

Obwohl mit der Kaiserproklamation (1508) eine aktuellere Erhebung Maximilians zur Verfügung gestanden wäre, bietet Wolfhard eine Schilderung der Königskrönung ganz nach Cimbriacus’ Vorbild und erwähnt ebenso die diplomatischen Glückwunschgesandtschaften, freilich ohne die inzwischen feindlichen Venezianer hervorzuheben. Er verzichtet auch auf die namentliche Nennung des berühmten Humanisten, der unmittelbar anschließende Vergleich deutet jedoch auf Textkenntnis von Barbaros Rede:

Panegyris c3r
Dedit ordine longo
Nec mora facundus magnos orator honores
Omnibus adveniens mundi dimissus ab oris,
Sic Nervae placidis imbuto moribus olim
Traianus, regeret quum te Germania felix
Successit, mundumque sibi parere coegit,
Optimus est orbi dictus qui nominis instar.

Unverzüglich brachten beredte Gesandte aus allen Ländern der Erde in langer Reihe Ehrenbezeigungen dar. So folgte einst Trajan auf Nerva, einen Mann von milder Gesinnung, als er dich, Germanien, glücklich lenkte, und er zwang den Erdkreis in seinen Gehorsam. „Bester“ wurde dieser vom Erdkreis genannt anstelle des Namens.

Der Vergleich lässt sich als eine Art „window allusion“ interpretieren: Wolfhard hat die von Cimbriacus gelobte Rede Barbaros „nachgeschlagen“ und zeigt, dass er deren antikes Vorbild erkannt hat, d.h. eben jene Reminiszenzen an den Panegyricus des Jüngeren Plinius, die die Beziehung Friedrich III. – Maximilian mit jener zwischen Nerva und Trajan parallelisieren (freilich ohne dass Barbaro Nerva oder Trajan namentlich genannt hätte). Ohne Kenntnis der Encomiastica und ohne Wissen um Cimbriacus’ Lob für Barbaro könnte man diesen Vergleich bei Wolfhardus als eklatanten Missgriff ansehen, denn ein anderes Herrscherpaar hätte sich als bessere Entsprechung anstelle der nur durch Adoption verbundenen Kaiser Nerva und Trajan angeboten: Vespasian und sein leiblicher Sohn Titus. Ein umfangreiches panegyrisches Gedicht des Ludovico Bruni (1434–1508) zum selben Anlass der Wahl und Krönung Maximilians – es wurde sogar im Anschluss an Barbaros Rede gedruckt De […] Maximiliani archiducis Austrie Burgundieque etc. Romanorum regis nuper electi coronatione […] gratulatio (GW 3346, a4v–b5v) – zieht genau diese Parallele. Trajan hatte freilich den Vorzug der Verbindung zu Germanien, und auch Plinius’s Darstellung des optimus princeps empfahl ihn als Muster für Maximilian. Wolfhard bezieht sich mit nominis instar deutlich auf Paneg. 88,6, bes. nec magis distincte definiteque designat, qui Traianum quam qui optimum appellat („wer ,der Beste‘ sagt, bezeichnet dich genauso eindeutig wie einer, der ,Trajan‘ sagt“).

Ein Klassiker des Herrscherlobes

Im Erscheinungsjahr der Panegyris war Barbaros Rede längst zu einem Klassiker des Herrscherlobes avanciert: In Drucken des frühen 16. Jahrhunderts erscheint sie im Anschluss an Opuscula Filippo Beroaldos nicht nur mit weiterer Habsburg-Panegyrik, der Rede des Giasone Maino (1435–1519) zur Hochzeit Maximilians mit Bianca Maria Sforza im Jahr 1494, sondern zusammen mit akademischen und diplomatischen Reden anderer berühmter Humanisten, z.B. Angelo Polizianos Oratio pro oratoribus Florentinorum ad Alphonsum Sicilie regem.

Wolfhard könnte aber sogar persönlichen Kontakt zum Herausgeber eines Inkunabeldrucks gehabt haben: Peter Danhauser († 1528), der Barbaros Rede 1490 in Nürnberg hatte drucken lassen (GW 3346 ; München, BSB, 4 Inc.c.a. 424#Beibd.4 ), erwarb im Sommersemester 1512 an der Universität Wien das Doktorat im Zivilrecht.

http://diglib.hab.de/inkunabeln/146-13-theol-12/start.htm?image=00002

Wenn Danhauser in seiner Widmungsadresse Friedrich III. und Maximilian nur zur Titelangabe der Rede nennt, des weiteren aber weder auf die historische Bedeutung der Königswahl noch auf Herrschertugenden der Habsburger Bezug nimmt, wird deutlich, dass sein Interesse der mustergültigen stilistischen Gestaltung von Panegyrik gilt und eben dieses Interesse schon 1490 bei künftigen Lesern vorausgesetzt wird. So mag auch Wolfhard bereits unabhängig von den Encomiastica auf Barbaros Rede gestoßen sein, und seine Anspielung auf die Verbindung beider Texte – die selbst nur von Lesern / Nachlesenden verstanden werden kann – dient weniger dem Lob Maximilians, als vielmehr dem Ausweis seiner eigenen humanistischen Bildung, einem Beleg für seine Kenntnis humanistischer Panegyrik in Dichtung und Prosa.

Literatur in Auswahl

Ermolao Barbaro, Epistolae, Orationes et Carmina. Ed. Vittorio Branca, Firenze 1943 (Nuova collezione di testi umanistici inediti o rari 6).

Three Speeches by Venetian Ambassadors 1433-1486. Edited with Introduction and Commentary by Jan Rothkam, Wiesbaden 2016 (Gratia 54).

Adriani Wolfhardi Transylvani Panegyris ad invictissimum Caesarem Maximilianum semper Augustum, Viennae Pannoniae: Hieronymus Vietor Philovallis & Ioannes Singrenius de Oeting 1512 (VD16 W 4305).

Elisabeth Klecker, Italicis oris Germana in regna tulisti Castalides. Zur Rezeption humanistischer Dichtung an der Universität Wien, in: Specimina nova, pars prima, sectio Medievalis VI. Dissertationes historicae collectae per Cathedram Historiae Medii Aevi Modernorumque Temporum Universitatis Quinqueecclesiensis (Renaissance Relations, Pécs, University of Pécs, 1. – 3. Oktober 2008), edd. Márta Font & Gergely Kiss, Pécs 2011, 143-162.

Franz Römer, Kenntnis und Imitation des plinianischen Panegyricus bei italienischen Humanisten. Grazer Beiträge 16, 1989, pp. 271–289 = ders., Von Rom nach Custozza. Ausgewählte Schriften zur antiken und neuzeitlichen Panegyrik, hg. v. Johannes Amann-Bubenik & Elisabeth Klecker, Wien 2018 (Singularia Vindobonensia 7), 69–89.

Herbert Samek, Die „Encomiastica“ des Aemilianus Cimbriacus, Studien zur literarischen Technik, Diplomarbeit Wien 1992.

Florian Schaffenrath, Das erste Großepos über Kaiser Maximilian I.: Ein Vergleich der beiden Fassungen der Encomiastica des Helius Quinctius Cimbriacus, Bibliothèque d’Humanisme et Renaissance 81 (2019), 103–140.

Franz Josef Worstbrock, Danhauser (Dann-, Tan-, Thonn-, -huser, Danusius, Abietiscola, Pierius), Peter, Deutscher Humanismus 1480-1520. Verfasserlexikon 1.2 (2006), 547-557.